Die stille Macht der Balance – Unser Endocannabinoid-System – Mein neuer Artikel bei HEIMAT

Das endogene Cannabinoid-System (ECS) ist ein faszinierendes evolutionäres Erbe, das sich in der Evolution bereits vor über 600 Millionen Jahren entwickelte. Fossilien und genetische Studien zeigen, dass selbst primitive Meeresbewohner wie Seescheiden bereits Endocannabinoide produzieren. Bei frühen Wirbeltieren (Knochenfische) entwickeln sich dann vor ca. 400 Millionen Jahren die differenzierten Endocannabinoid-Rezeptor-Subtypen CB-1 und CB-2, verbunden mit der Entstehung komplexer neuronaler Netzwerke.

Die Ko-Evolution des Endocannabinoid-Systems und der Pflanze Cannabis

Heute haben fast alle Tierarten – mit Ausnahmen vor allem von Insekten – ein Endocannabinoid-System. Inzwischen wissen wir, dass es als universelles Regulationssystem eine Vielzahl an Funktionen steuert, um Körper und Geist in einer gesunden Balance zu halten. Die Tatsache, dass sich dieses System über Jahrmillionen erhalten hat, deutet auf seine zentrale Rolle für das Überleben hin. Erst viel später, vor etwa 30 Millionen Jahren, entwickelte die Cannabispflanze ihre charakteristischen Phytocannabinoide – ein Hinweis darauf, dass die Interaktion zwischen Pflanze und unserem ECS kein Zufall, sondern das Ergebnis einer ko-evolutionären Beziehung mit Tieren sein könnte.

Eine historische Betrachtung der Ko-Evolution des Menschen mit Cannabis seit mindestens 12.000 Jahren legt nahe, dass heutige Sorten der Kulturpflanze Cannabis durch lange Züchtungsbemühungen mit verschiedenen Zielen entstanden sind. THC-reiche Sorten wurden möglicherweise bereits vor langer Zeit gezüchtet, um viele medizinische Wirkungen der Pflanze zu optimieren.

Viele der frühesten Pharmakopöen (Arzneibücher) der Welt erwähnen Cannabis, wie zum Beispiel den berühmten ägyptischen Papyrus Ebers vor über 2.500 Jahren, in welchem topische (also über die Haut wirkende) Rezepturen mit Cannabis gegen Entzündungen beschrieben werden, aber auch Rezepturen für gynäkologische Anwendungen sowie für Augenerkrankungen wie Glaukom, für das Schmerzmanagement bei Kopfschmerzen oder während der Geburt, als Abführmittel bei Verdauungsstörungen, sowie zur Sedierung in Kombination mit Opium bei chirurgischen Eingriffen.

Cannabis wurde darüber hinaus von Menschen in zahlreichen Kulturen auch seit Jahrtausenden zu vielfältigen anderen Zwecken eingesetzt: als Nahrungsmittel, für zahlreiche Produkte, aber auch für vielfältige bewusstseinsverändernde Wirkungen für religiöse und spirituelle Rituale, zur Meditation, für kreative Zwecke oder auch als Aphrodisiakum; auch für viele dieser Zwecke wurde Cannabis gezielt gezüchtet.

Entdeckungsgeschichte: Von der illegalen Pflanze zur medizinischen Revolution

Die Erforschung des ECS begann paradoxerweise mit einer illegalen Pflanze. In den 1960er-Jahren isolierten Wissenschaftler erstmals THC aus Cannabis und fragten sich: Warum reagiert der menschliche Körper auf diese Pflanzensubstanz? 1988 entdeckte Allyn Howlett den CB1-Rezeptor im Gehirn, 1992 identifizierte Raphael Mechoulam Anandamid („Glücksmolekül“), den ersten endogenen (von griechisch „endo„, innen, also im Körper hergestellt) Liganden, der an diesen Rezeptor bindet und ihn aktiviert. Trotz der enormen wissenschaftlichen Bedeutung ist das ECS nach wie vor in fast allen medizinischen Curricula weltweit – auch in Europa – weitgehend abwesend. Broselid (2024) nennt dies zu Recht eine „eklatante Auslassung“ und verweist darauf, dass selbst in der aktuellen Ausgabe des Standardwerks „Guyton and Hall Textbook of Medical Physiology“ das ECS kaum erwähnt wird, obwohl es seit über 30 Jahren intensiv erforscht wird. Trotzdem sehen wir in den letzten Jahrzehnten eine revolutionäre Entwicklung in der Anwendung von medizinischem Cannabis für eine Vielzahl von Indikationen, die unter anderem durch bessere Regulierungen der Pflanze und deren Derivate möglich gemacht wurden. (Den Original-Artikel weiterlesen auf heimatkult.ch)

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