Kreativität und Cannabis: Neue Perspektiven, Teil I

„Muggles is the Mother of Invention“

Milton „Mezz“ Mezzrow, „Really the Blues“

Louis Armstrong and Milton Mezz Mezzrow

Als musikalisches Genre wird der Jazz von vielen als eine der größten amerikanischen Kunstformen angesehen, in deren Zentrum die kreative Improvisation liegt. In der Geschichte des Jazz nimmt Milton „Mezz“ Mezzrow eine einzigartige Rolle ein: Als Klarinettist, Saxophonist und als legendärer Cannabis-Dealer prägte er die Musik- und Subkultur der 1930er und 40er Jahre maßgeblich. In den Clubs von Harlem in New York City und auf Tourneen war Mezzrow für viele Jazzgrößen der Inbegriff des „Vipers“ – so genannt, weil Cannabis- Nutzer in der Jazz-Szene beim Inhalieren eines Joints den zischenden Sound einer Viper machten.

Mezzrow wurde nicht nur durch sein musikalisches Talent bekannt, sondern auch durch seine zentrale Stellung als Lieferant von hochwertigem mexikanischen „golden-leaf“ Marijuana. Seine Autobiografie Really the Blues (1946) ist ein faszinierendes Zeitdokument, das eindrucksvoll schildert, welchen Einfluss Cannabis auf Kreativität, Musikalität und Gemeinschaft hatte.

Mezzrow war mit dem legendären Jazz-Trompeter Louis Armstrong befreundet, der selbst als einer der berühmtesten und offensten Cannabis-Befürworter der Jazzgeschichte gilt. Armstrong, der täglich Joints rauchte, schätzte Mezzrow nicht nur als Musiker, sondern auch als zuverlässigen Lieferanten von „muggles“, „tea“, bzw. auch „gage“, wie sie damals auch zu Marijuana sagten. Louis Armstrong sagte später:

„Ich glaube, dass Marihuana eine wichtige Rolle in meinem kreativen Prozess gespielt hat. Es hat mir geholfen, die Dinge aus anderen Blickwinkeln zu sehen und hat viele meiner Kompositionen inspiriert. Es ist ein Werkzeug, das meinen künstlerischen Ausdruck verbessert hat.“

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In seiner Autobiografie Really the Blues gibt uns sein Musikerkollege Mezz Mezzrow mehr Hintergrund dazu: Er beschreibt zum Beispiel, wie er eines Tages Armstrongs Platte Heebie Jeebies hört, ein Meilenstein, wie er berichtet, weil Armstrong dort zum ersten Mal seinen berühmten Scat-Gesang aufnahm, eine Form der Vokal-Improvisation im Jazz, bei der der Sänger rhythmisch und melodisch aneinandergereihte Silben singt, um Instrumental-Parts zu imitieren. Die Stimme wird wie ein Instrument eingesetzt, wobei der Fokus auf Melodie, Rhythmus und Klangfarbe liegt, nicht auf dem Text.

Dieser Stil wurde zum Vorbild für Generationen von Jazzmusikern und gilt als Inbegriff der Jazz-Improvisation. Mezzrow schreibt, Louis habe ihm später gesagt, er hätte im Studio bei der Aufnahme für Heebie Jeebies einen Joint geraucht und habe dann seinen Text verloren und musste improvisieren; der Rest ist Geschichte.

Eine kollektive Selbsttäuschung?

Wir wissen von zahllosen Künstlern, Musikern, Schriftstellern, Philosophen, Wissenschaftlern und vielen anderen prominenten Cannabisnutzern, dass sie die Pflanze für ihre kreative Arbeit nutzten. Von Charles Baudelaire, einem der Mitbegründer des französischen Club des Hashashins, über Billie Holiday und Charlie Parker und dem Beat Poeten Allen Ginsberg, den Beatles, Bob Marley, der Künstlerin Frida Kahlo, dem Comedian George Carlin, dem Filmregisseur Hal Ashby sowie Schauspielern wie Morgan Freeman und Jack Nicholson: sehr viele dieser Nutzer haben Cannabis nicht einfach nur zur Entspannung, sondern auch zur Inspiration für ihre Arbeit genutzt.

Allerdings hören wir auch von zahlreichen Menschen, dass das Cannabis High sich teilweise auch negativ auf Ihren kreativen Output ausgewirkt hat. So berichtete der Jazzmusiker Artie Shaw, dass er sehr unzufrieden mit seinem „Viper“-Bandmitglied, dem Trompeter Chuck Peterson war, weil er fand, dass Chuck die Band verlangsame, wenn er high spielte. Chuck war anderer Meinung, also schlug Artie vor, dass sie beide gemeinsam high spielen würden; wenn dies gut liefe, könnten Sie von da an jeden Abend high auftreten. Shaw berichtet:

„(Chuck) gab es mir, ich rauchte es, und ich spielte sensationell. Ich hörte Sachen, die ich noch nie zuvor in diesen alten Arrangements gehört hatte. (…) Du hast gewonnen‘, sagte ich. ‚Nein, Mann‘, sagte er. ‚Ich verliere.‘ Er hatte mich den ganzen Abend über ungläubig angeschaut, und ich dachte, er würde denken: ‚Mann, der Typ bläst sich den Kopf weg.‘ Ich habe großartige Dinge gehört. Aber die technische Fähigkeit, das zu tun – das ist wie Autofahren im Rausch. Du fühlst dich großartig, aber du weißt nicht, was du tust.“

Gehen viele Berichte über das High also möglicherweise auf eine systematische Selbstüberschätzung während des Highs zurück? Dahinter könnten allgemeine unbewusste Selbsttäuschungs-Mechanismen stecken, wie zum Beispiel, dass Cannabisnutzer ihren oft illegalen Gebrauch der Pflanze rechtfertigen wollen. Oder haben sie auch eine durch das High erzeugte systematische Selbstüberschätzung durch eine veränderte Wahrnehmung?

Eine reine quantitative Sammlung von Erfahrungsberichten wird also kaum weiter helfen; auch wenn die überwiegende Mehrzahl von Nutzern positive Effekte auf ihre Kreativität berichtet, könnten Sie falsch liegen. Wie sollen wir also vorgehen, wenn wir mehr darüber erfahren wollen, ob das High tatsächlich kreative Tätigkeiten bereichern kann?

(…) Weiterlesen hier.

Der Originalartikel erschien zuerst bei Heimatkult.ch.

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